Sie wollte ihr Gesicht verhüllt lassen – auch am Steuer. Aus religiöser Überzeugung, aus Rücksicht auf ihre Privatsphäre und mit dem Anspruch, trotz Schleier mobil zu sein. Doch daraus wird nichts. Denn das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat im Frühjahr 2025 eine klare Linie gezogen: Wer Auto fährt, muss sein Gesicht zeigen – auch wenn das mit dem eigenen Glauben kollidiert. Die Entscheidung ist endgültig. Und sie zeigt, wie weit das Grundrecht auf Religionsfreiheit geht – und wo es endet.
Der Fall: Wenn Religion auf Verkehrsrecht trifft
Eine junge muslimische Frau aus Berlin beantragte eine Ausnahmegenehmigung – sie wollte beim Autofahren den Niqab tragen dürfen. Also ein Schleier, der das gesamte Gesicht bedeckt, mit Ausnahme der Augen. Ihre Begründung: Sie sehe sich auch im Auto den Blicken fremder Männer ausgesetzt und dürfe sich aus religiösen Gründen nicht unverschleiert in der Öffentlichkeit zeigen. Das Problem: Nach § 23 Abs. 4 StVO ist genau das verboten – der Fahrer oder die Fahrerin eines Kraftfahrzeugs darf das Gesicht nicht so verhüllen, dass man ihn oder sie nicht mehr erkennen kann.
Die Entscheidung: Kein Raum für Ausnahmen – auch nicht aus religiösen Gründen
Zunächst hatte das Verwaltungsgericht Berlin den Antrag abgelehnt – und nun hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg diese Entscheidung bestätigt. Der Antrag auf Berufung wurde zurückgewiesen. Und das mit klaren Worten: Die Regelung zur Gesichtserkennbarkeit im Straßenverkehr diene nicht nur der Polizeikontrolle, sondern auch der automatisierten Verkehrsüberwachung. Wer rote Ampeln überfährt, zu schnell fährt oder sich anderweitig verkehrswidrig verhält, muss identifizierbar bleiben. Und genau deshalb ist eine vollständige Gesichtsverhüllung beim Führen eines Fahrzeugs unzulässig.
Religionsfreiheit – ja, aber nicht grenzenlos
Natürlich: Artikel 4 des Grundgesetzes schützt die Religionsfreiheit. Und natürlich darf jeder Mensch nach seiner religiösen Überzeugung leben. Aber dieser Schutz ist nicht schrankenlos. Er endet dort, wo andere Rechtsgüter überwiegen – etwa die öffentliche Sicherheit oder die Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung. In diesem Fall hat das Gericht entschieden: Die Pflicht, das Gesicht beim Autofahren unverhüllt zu lassen, ist ein gerechtfertigter Eingriff in die Religionsfreiheit. Denn es geht nicht um eine willkürliche Vorschrift, sondern um ein zentrales Element der Verkehrsüberwachung – und damit um Sicherheit für alle.
Warum es auf das Gesicht ankommt – auch technisch
In Zeiten von Blitzerfotos, Verkehrsüberwachung per Kamera und automatisierter Kennzeichenerfassung ist es mehr als eine Formsache, dass Fahrer erkennbar bleiben. Das Gesicht ist der zentrale Anknüpfungspunkt für Identität – nicht nur für Polizeibeamte, sondern auch für moderne Technik. Wer sein Gesicht komplett verhüllt, unterläuft dieses System. Die Gerichte sehen darin keine Kleinigkeit – sondern einen echten Rechtsverstoß. Und deshalb gibt es auch keine religiös motivierte Ausnahmegenehmigung.
Kein Einzelfall – sondern ein Signal
Das Urteil betrifft nicht nur diese eine Frau, sondern hat Signalwirkung für alle Menschen, die aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen eine Vollverschleierung praktizieren. Es sagt deutlich: Wer in Deutschland ein Auto fährt, muss sich den Spielregeln des öffentlichen Verkehrsraums unterwerfen. Und zu diesen Spielregeln gehört, dass man sich identifizieren lassen muss – jederzeit und ohne Einschränkungen. Es ist nicht die Religion, die hier eingeschränkt wird. Es ist die Mobilität, die an bestimmte Bedingungen geknüpft ist.
Was bleibt der Betroffenen?
Nichts mehr. Denn mit der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts ist der Rechtsweg ausgeschöpft. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wurde abgelehnt – und damit ist das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen. Die Frau darf keinen Niqab mehr tragen, wenn sie selbst ein Auto führt. Sie darf weiterhin verschleiert als Beifahrerin fahren. Sie darf auch verschleiert in der Öffentlichkeit auftreten. Aber sobald sie selbst am Steuer sitzt, muss der Schleier fallen – im Sinne der Verkehrssicherheit und der Rechtsstaatlichkeit.
Kritik und Zustimmung – beides vorhersehbar
Die Entscheidung polarisiert. Für die einen ist sie ein Eingriff in die Religionsfreiheit, für die anderen eine notwendige Konsequenz moderner Verkehrskontrolle. Kritiker monieren eine zu enge Auslegung der Freiheit, Befürworter loben die Klarheit der Linie. Doch eines steht fest: Der Gesetzgeber hat mit § 23 Abs. 4 StVO eine klare Regelung getroffen – und die Gerichte setzen sie konsequent um. Wer daran etwas ändern will, muss politisch argumentieren – nicht juristisch.
Tipps der Redaktion
Wer sich auf die Religionsfreiheit beruft, sollte genau wissen, wo ihre Grenzen verlaufen – und welche Pflichten im öffentlichen Raum Vorrang haben. Das Verkehrsrecht ist kein Ort für Ausnahmen nach persönlicher Überzeugung – sondern ein System, das für alle gleich gelten muss. Wer trotzdem auf dem Recht besteht, sich vollständig zu verschleiern, muss damit rechnen, bestimmte Freiheiten – wie das Autofahren – nicht nutzen zu können. Entscheidend ist nicht, was man glaubt – sondern wie sehr dieser Glaube mit dem Schutz anderer Rechtsgüter kollidiert.
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