Wenn Werbeversprechen ins Kraut schießen, schreitet irgendwann das Gericht ein – so geschehen in einem aktuellen Fall vor dem Landgericht Bamberg. Die Dr. Pfleger Arzneimittel GmbH hatte in einer Anzeige für ihr Produkt „Bio-H-Tin“ mit der Aussage geworben, es sorge für „11 Prozent mehr Haare in nur 16 Wochen“. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) sah darin eine klare Irreführung – und bekam recht.
Haarträume im Schnelldurchlauf?
In Frauenzeitschriften präsentierte sich das Haarpflegepräparat als echter Hoffnungsträger für dünner werdendes Haar. Die Einnahme der Kapseln, so der Werbetext, fördere das gesunde Haarwachstum „von innen heraus“. Das Ergebnis: deutlich mehr Haare in gerade einmal vier Monaten. Klingt verlockend – aber eben zu schön, um wahr zu sein.
Das sah auch das LG Bamberg so: Die Aussagen seien nicht nur kosmetischer Natur, sondern als gesundheitsbezogen zu werten. Und genau hier liegt das Problem: Solche Aussagen dürfen nach der sogenannten Health-Claims-Verordnung der EU nur dann verwendet werden, wenn sie von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) geprüft und zugelassen wurden.
EU-Recht: Verbraucher sollen nicht länger hinters Licht geführt werden
Die Health-Claims-Verordnung soll sicherstellen, dass gesundheitsbezogene Werbeaussagen auf fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Dabei geht es um Verbraucherschutz auf höchstem Niveau: Nur was wissenschaftlich belegt ist, darf als Heilsversprechen verkauft werden.
Im Fall von „Bio-H-Tin“ bemängelte das Gericht vor allem den suggerierten Zusammenhang zwischen der Einnahme der Kapseln und einem quantifizierten Haarwachstum. Zwar dürfen Biotin, Zink und Selen mit dem Hinweis beworben werden, dass sie zur „Erhaltung normaler Haare“ beitragen – dass sie aber konkret „11 Prozent mehr Haare“ binnen 16 Wochen bewirken sollen, sei unbelegt und damit unzulässig.
Urteil: LG Bamberg, 15.03.2024, Az. 13 O 431/23 UKlaG
Beweis: Urteil, veröffentlicht auf vzbv.de
Irreführung durch angeblich garantierte Wirkung
Nach Auffassung der Richter lag auch eine Irreführung vor. Die Werbung erwecke den Eindruck, dass allein durch Einnahme der Kapseln eine erhebliche Haarvermehrung in kurzer Zeit erzielt werden könne – ohne Einschränkung, ohne Variabilität, ohne Hinweis auf individuelle Unterschiede. Das sei schlichtweg falsch.
Auch wenn der Wunsch nach fülligerem Haar weit verbreitet ist, müssen Werbeaussagen faktenbasiert bleiben. Besonders heikel wird es, wenn Konsument:innen gesundheitliche Wirkungen suggeriert werden, die medizinisch oder naturwissenschaftlich nicht haltbar sind.
Signalwirkung für die gesamte Branche
Das Urteil des LG Bamberg hat klare Signalwirkung: Hersteller und Händler von Nahrungsergänzungsmitteln dürfen nicht länger mit gesundheitsbezogenen Aussagen werben, die über die zulässigen Angaben hinausgehen. Wer mit Wirkung wirbt, braucht wissenschaftlichen Rückhalt – alles andere ist Irreführung und damit wettbewerbswidrig.
Der vzbv wird weiterhin konsequent gegen unzulässige Werbung vorgehen und die Rechte der Verbraucher:innen schützen. Für die Hersteller bedeutet das: Wer kreativ werben will, muss dabei die juristischen Spielregeln der Health-Claims-Verordnung genau einhalten.
Tipps der Redaktion:
- Verbraucher:innen sollten sich nicht auf plakative Werbeversprechen verlassen. Im Zweifel lohnt ein Blick auf die Health-Claims-Verordnung und ihre Positivliste.
- Nahrungsergänzungsmittel sind keine Medikamente. Auch wenn sie gesundheitsbezogen beworben werden, fehlt oft der wissenschaftliche Beweis.
- Bei Unsicherheiten helfen unabhängige Stellen wie die Verbraucherzentralen, die solche Werbeversprechen regelmäßig prüfen lassen und bei Irreführungen juristisch dagegen vorgehen.