Die deutschen Gerichte sind überlastet. Und das ist keine bloße Schlagzeile mehr – es ist tägliche Realität. Wer wie ich regelmäßig Schriftsätze einreicht, Fristen setzt und auf Entscheidungen wartet, weiß längst: Das System stottert. Nicht an Einzelfällen, sondern an Strukturen.
Monate bis zur Güteverhandlung. Schriftliche Hinweise, die aus Textbausteinen bestehen. Urteile, die knapp über dem Copy-Paste-Niveau bleiben. Und zwischen all dem: überarbeitete Richter, frustrierte Geschäftsstellen, genervte Parteien.
Die Überlastung der Justiz ist nicht nur ein personelles Problem. Sie ist ein politisches Versäumnis.

Wer spart, riskiert Rechtsverfall
Seit Jahren hören wir: Digitalisierung, Entlastung, Verfahrensökonomie. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Zahl der Richterstellen wächst nicht im Verhältnis zur Verfahrenslast. Der Krankenstand steigt. Junge Juristen meiden die Justiz wegen schlechter Bezahlung und ausufernder Akten. Und währenddessen mehren sich Gesetzesreformen, die zwar gut gemeint sind – aber neue Aufgaben ohne neue Ressourcen schaffen.
Ein aktuelles Beispiel: Die geplante Anhebung der Zuständigkeit der Amtsgerichte auf 10.000 Euro ist richtig – aber nur dann, wenn man die Gerichte nicht mit der Fallflut alleinlässt. Sonst wird das Amtsgericht zum Nadelöhr, nicht zum Hoffnungsträger.
Digitalisierung ist kein Allheilmittel
Natürlich: eAkte, beA, Online-Mahnverfahren – alles sinnvolle Instrumente. Doch Technologie ersetzt keine Urteilsfindung. Ein überlasteter Richter wird auch mit dem schnellsten Tool nicht gründlicher. Und eine gestresste Geschäftsstelle wird auch durch Automatisierung nicht freundlicher.
Was wir brauchen, ist eine klare Justizstrategie: Mehr Personal, echte Spezialisierung und konsequente Verfahrensteuerung. Und ja – auch die Frage, ob wirklich jede Bagatelle den vollen juristischen Weg gehen muss.
Recht muss spürbar sein – nicht nur existent
Es genügt nicht, wenn Recht auf dem Papier existiert. Es muss auch innerhalb nützlicher Frist durchsetzbar sein. Was nützt dem Verbraucher ein Rückzahlungsanspruch, wenn die Klage frühestens nach 15 Monaten verhandelt wird? Was bringt dem Vermieter eine Kündigung, wenn das Urteil erst nach der nächsten Heizperiode kommt?
Wenn Justiz zu langsam wird, verliert sie ihre Autorität. Und wo Autorität schwindet, entstehen gefährliche Lücken – für Frust, für Selbstjustiz, für Misstrauen in den Rechtsstaat.
Meine Meinung:
Wir müssen aufhören, die Überlastung der Justiz als Naturkatastrophe zu behandeln. Sie ist menschengemacht – und politisch lösbar. Doch dazu braucht es mehr als warme Worte in Koalitionsverträgen. Es braucht Investitionen, Wertschätzung und eine klare Vorstellung davon, was Justiz eigentlich leisten soll – und was nicht.
Solange wir auf dem Rücken der überlasteten Gerichte Reformpolitik spielen, ist jedes neue Gesetz ein Risiko. Und solange wir über Digitalisierung sprechen, aber keine Richter mehr einstellen, bauen wir ein Kartenhaus auf bröckelndem Fundament.
Der Rechtsstaat ist kein Selbstläufer. Er braucht Pflege. Und zwar jetzt – nicht erst, wenn die Verfahren kollabieren.