Darum geht’s in diesem Artikel:
Wenn Teilzeitbeschäftigte mehr arbeiten als vereinbart, gehen sie bei Überstundenzuschlägen oft leer aus – anders als ihre vollzeitbeschäftigten Kollegen. Diese Benachteiligung war lange Praxis. Doch jetzt hat das Bundesarbeitsgericht eine wegweisende Entscheidung getroffen. Es sagt klar: Wer Teilzeit arbeitet, darf nicht systematisch schlechter gestellt werden – weder beim Geld noch bei der Anerkennung geleisteter Arbeit. In diesem Artikel erfährst du, wie das Urteil Teilzeitkräfte schützt, was Arbeitgeber jetzt dringend prüfen müssen und welche Rechte du als betroffener Arbeitnehmer geltend machen kannst.
Warum dieses Urteil Geschichte schreiben könnte
Teilzeitbeschäftigte – besonders in Pflege und Gesundheitswesen – stemmen oft mehr Stunden als vereinbart. Trotzdem blieb ihnen der Anspruch auf Überstundenzuschläge bislang verwehrt. Der Grund: Viele Tarifverträge koppeln die Zuschläge an das Überschreiten der Vollzeitgrenze – etwa 38,5 Wochenstunden. Für Teilzeitkräfte bedeutete das: Erst wenn sie Vollzeitniveau erreichten, floss ein Zuschlag. Das hat das Bundesarbeitsgericht nun gestoppt.
Im Fall einer Pflegekraft beim Dialyseanbieter KfH (Az. 8 AZR 370/20) urteilten die Richter: Diese Praxis verstößt gegen das Teilzeit- und Befristungsgesetz (§ 4 TzBfG) – und gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Das Gericht sprach der Klägerin nicht nur eine Gutschrift von 38 Stunden und 49 Minuten zu, sondern auch 250 Euro Entschädigung wegen mittelbarer Diskriminierung – da Teilzeitstellen überwiegend von Frauen besetzt sind.
Der Clou: Die tarifliche Regelung im Manteltarifvertrag des KfH wurde für unwirksam erklärt – soweit sie keine anteilige Herabsetzung der Zuschlagsgrenze für Teilzeitkräfte vorsieht. Damit steht fest: Teilzeitkräfte müssen bereits ab Überschreiten ihrer individuell vereinbarten Arbeitszeit Zuschläge erhalten – nicht erst ab Überschreiten des Vollzeitmaßes.
Was das Urteil für dich bedeutet
Dieses Urteil ist ein Meilenstein für mehr Fairness im Arbeitsrecht. Arbeitgeber müssen ihre tariflichen und betrieblichen Regelungen jetzt genau prüfen – denn das Bundesarbeitsgericht hat unmissverständlich klargestellt: Eine starre Zuschlagsgrenze auf Vollzeitniveau diskriminiert Teilzeitkräfte. Und das verstößt nicht nur gegen deutsches Recht, sondern auch gegen europäische Richtlinien.
Wer in Teilzeit arbeitet, hat also Anspruch auf gleiche Entlohnung – bezogen auf seine Arbeitszeit. Wer regelmäßig über die vereinbarte Stundenzahl hinaus arbeitet, muss auch Überstundenzuschläge erhalten. Und: Wer bislang leer ausging, kann unter Umständen rückwirkend Entschädigung oder Gutschriften verlangen.
Das Urteil hat auch Auswirkungen auf andere Tarifverträge – vor allem im Gesundheitswesen, im Einzelhandel, bei Wohlfahrtsverbänden oder in kirchlichen Einrichtungen. Überall dort, wo Teilzeitkräfte in erheblichem Umfang beschäftigt sind, drohen nun Anpassungen – oder Klagewellen.
Tipps der Redaktion
- Wenn du in Teilzeit arbeitest und Überstunden leistest, prüfe deine Lohnabrechnungen rückwirkend.
- Fordere ggf. eine Gutschrift oder Zahlung nach § 612 Abs. 2 BGB – der Anspruch ergibt sich bei unzulässiger Ungleichbehandlung.
- Sprich deinen Betriebsrat an, ob tarifliche Regeln angepasst werden.
- Achte auf Ausschlussfristen im Tarifvertrag – oft verfallen Ansprüche nach drei oder sechs Monaten.
- Wenn du Fragen hast, kannst du jederzeit unsere Hauptseite besuchen.
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Eine kurze rechtliche Einschätzung durch die Expertenbrille
Das Urteil ist juristisch klar: § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV des KfH verstößt gegen höherrangiges Recht, da es Teilzeitkräfte benachteiligt. Die Richter folgen konsequent dem Pro-rata-temporis-Grundsatz: Wer weniger arbeitet, darf nicht überproportional mehr leisten müssen, um in den Genuss von Zuschlägen zu kommen. Besonders bemerkenswert: Die Verknüpfung mit dem AGG – denn sobald Teilzeitkräfte überwiegend weiblich sind, liegt zusätzlich eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts vor. Arbeitgeber tun gut daran, ihre Vergütungsmodelle jetzt rechtssicher umzustellen.
Björn Kasper, Rechtsanwalt