Darum geht’s in diesem Artikel:
Ein Kraftfahrer soll bei einer Netto-Lieferung zehn Kartons Ramazzotti entwendet haben – so zumindest der Vorwurf seines Arbeitgebers. Die Folge: fristlose Kündigung. Doch weder die angebliche Tat noch der Verdacht hielten einer gerichtlichen Überprüfung stand. Was steckt hinter dem Fall? Welche Anforderungen gelten an Tat- und Verdachtskündigungen? Und warum eine fehlende Anhörung für Arbeitgeber teuer werden kann – das erfährst du in diesem Artikel.
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern zeigt glasklar: Ein bloßer Verdacht reicht nicht. Und wer kündigt, muss auch liefern – nämlich belastbare Tatsachen, keine Vermutungen.
Fristlose Kündigung wegen angeblichen Spirituosen-Diebstahls
Der Kläger war als Lkw-Fahrer für eine Spedition tätig, die Handelsketten wie Netto beliefert. Am 4. November 2022 transportierte er unter anderem eine Rücklieferung von Paletten an das Zentrallager in B-Stadt. Noch am selben Tag erhielt er von Netto ein Hausverbot – wegen angeblichen Diebstahls von zehn Kartons Ramazzotti. Seine Arbeitgeberin reagierte prompt: fristlose Kündigung.
Begründet wurde der Schritt mit einer angeblich lückenlosen GPS-Überwachung und dem Hinweis auf eine elektronische Plombe am Lkw-Auflieger, die geöffnet worden sei. Der Kläger hingegen bestritt jede Schuld, verwies auf eine reguläre Pause an der Raststätte Demminer Land und bemängelte die Funktionstüchtigkeit der Plombe.
Gericht: Kein Tatnachweis – keine Kündigung
Das Landesarbeitsgericht bestätigt die erstinstanzliche Entscheidung des Arbeitsgerichts Stralsund: Weder als Tatkündigung noch als Verdachtskündigung war die Kündigung wirksam.
Wichtig dabei: Eine Verdachtskündigung setzt zwingend voraus, dass der Arbeitnehmer vorab angehört wurde. Das war hier nicht geschehen – damit war die Verdachtskündigung bereits formell unwirksam.
Und für eine Tatkündigung fehlte es schlicht an beweisbaren Tatsachen. Die Beklagte konnte nicht konkret darlegen, wann, wie und wo der Kläger die Ware entwendet haben soll. Die GPS-Daten, auf die man sich berief, blieben vage. Die Fotos ließen keine eindeutigen Rückschlüsse zu. Und Zeugenbeweis war ebenfalls nicht substantiiert angeboten worden.
Interessant: Wer trägt die Dolmetscherkosten?
Obwohl der Kläger mit seiner Kündigungsschutzklage vollumfänglich obsiegte, musste er die Kosten für einen Dolmetscher selbst tragen. Grund: Er war zum angesetzten Verhandlungstermin unentschuldigt nicht erschienen – obwohl seine persönliche Anwesenheit angeordnet war. Der bereitgestellte Dolmetscher war somit vergeblich erschienen, die Kosten überflüssig.
Das zeigt: Auch als Gewinner vor Gericht kann man für prozessuale Versäumnisse zur Kasse gebeten werden.
Tipps der Redaktion
Wenn du selbst mit einer Kündigung konfrontiert bist – sei es wegen Diebstahls, eines Verdachts oder einer plötzlichen Eskalation –, solltest du sofort juristischen Rat einholen.
Verdachtskündigungen sind rechtlich heikel: Ohne vorherige Anhörung des Arbeitnehmers sind sie stets unwirksam.
Auch bei einer angeblichen Tatkündigung muss der Arbeitgeber genau nachweisen, wann und wie die Pflichtverletzung begangen wurde. Vermutungen, vage GPS-Daten oder Fotos ohne beweiskräftige Einordnung reichen nicht aus.
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Eine kurze rechtliche Einschätzung durch die Expertenbrille
Björn Kasper, Rechtsanwalt:
Das Urteil ist ein Paradebeispiel dafür, wie wichtig prozessuale Sorgfalt für Arbeitgeber ist. Eine Kündigung – gleich ob Tat- oder Verdachtskündigung – muss wasserdicht sein. Fehlende Tatsachenschilderungen, unkonkrete Beweismittel oder das Versäumnis einer Anhörung führen zur Unwirksamkeit. Besonders relevant: Die Beweislast liegt beim Arbeitgeber. Wer kündigt, muss überzeugen – und zwar das Gericht. Im Zweifel geht es nicht nur um die Rückkehr des Arbeitnehmers, sondern auch um erhebliche Kostenrisiken.