Sonntag, September 28, 2025

Bewerbung nur fürs Geld? Wie das BAG gegen Entschädigungsjäger durchgreift

Mit Urteil vom 19.09.2024 (Az. 8 AZR 21/24) hat das BAG entschieden, dass ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG ausgeschlossen ist, wenn sich der Bewerber nicht ernsthaft für die Stelle interessiert. Das Gericht bejahte einen Rechtsmissbrauch bei systematischem Vorgehen zum Zweck der Entschädigung. Arbeitgeber dürfen öffentlich zugängliche Informationen rechtmäßig verwerten. Dieses Urteil setzt klare Maßstäbe im Umgang mit missbräuchlichen AGG-Klagen und schützt Unternehmen vor Entschädigungsforderungen ohne Substanz.

Teile den Artikel:

Darum geht’s in diesem Artikel:

Stell dir vor, jemand bewirbt sich wiederholt auf Stellenanzeigen, die bewusst nur auf das andere Geschlecht ausgerichtet sind – nicht, um den Job zu bekommen, sondern um nach Absage eine Entschädigung wegen Diskriminierung zu verlangen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 19. September 2024 (Az. 8 AZR 21/24) entschieden, dass ein solches Verhalten rechtsmissbräuchlich ist. Der Fall zeigt: Das AGG schützt nicht jeden, der sich formal bewirbt – sondern nur echte Bewerber mit ernsthaftem Interesse.

Das Urteil betrifft ein heikles Spannungsfeld zwischen dem Diskriminierungsschutz nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und dem Missbrauch rechtlicher Instrumente. Der klagende Mann hatte sich – wie schon oft zuvor – auf eine Anzeige für eine „Bürokauffrau/Sekretärin“ beworben, obwohl er keine ernsthafte Absicht hatte, die Stelle anzutreten. Das Ziel: eine Entschädigung wegen Diskriminierung aufgrund seines Geschlechts. Das BAG hat diesem Geschäftsmodell eine klare Absage erteilt.

Der Fall im Detail:

Der Kläger – männlich, mit kaufmännischer Ausbildung – hatte sich bundesweit auf Stellenanzeigen beworben, die gezielt weibliche Berufsbezeichnungen wie „Sekretärin“ oder „Bürokauffrau“ enthielten. In seinen Anschreiben, die nahezu identisch formuliert waren, stellte er sein Geschlecht bewusst heraus und fragte gezielt nach, ob ausschließlich eine Frau gesucht werde. So provozierte er Absagen, um anschließend Entschädigungsklagen nach § 15 Abs. 2 AGG einzureichen. Insgesamt hatte er binnen weniger Monate mehr als ein Dutzend solcher Klagen erhoben.

Im konkreten Fall ging es um eine Bewerbung bei einer Ingenieurgesellschaft in Dortmund. Trotz großer räumlicher Distanz (170 km) und laufendem Vollzeitstudium bewarb sich der Kläger ohne konkrete Nachweise zu Berufserfahrung oder einem ernsthaften Umzugsplan. Die Beklagte reagierte nicht auf die Bewerbung und besetzte die Stelle mit einer Frau. Der Kläger erhob Klage – erneut mit dem Ziel einer Entschädigung in Höhe von mindestens 6.000 Euro.

Die Entscheidung des BAG:

Das BAG wies die Revision des Klägers zurück und bestätigte: Die Bewerbung war rechtsmissbräuchlich. Zwar seien formale Bewerbungen grundsätzlich geschützt – doch wer sich nur zum Schein bewirbt, um Entschädigungen abzugreifen, kann sich nicht auf das AGG berufen.

Das Gericht stellte klar: Es genügt nicht, formale Anforderungen zu erfüllen. Entscheidend ist das subjektive Ziel der Bewerbung. Wer nicht ernsthaft an der ausgeschriebenen Stelle interessiert ist, sondern lediglich eine Absage provozieren will, handelt missbräuchlich.

Besonders belastend: Der Kläger hatte ein systematisches Vorgehen entwickelt. Er passte seine Bewerbungen strategisch an frühere Gerichtsentscheidungen an, vermied dabei aber jede inhaltliche Verbesserung oder Individualisierung. Das BAG sah darin ein gezieltes Geschäftsmodell, mit dem er sich durch Entschädigungsklagen neben dem Bezug von Bürgergeld zusätzliche Einnahmen verschaffen wollte.

Die rechtliche Würdigung:

Rechtsmissbrauch (§ 242 BGB) setzt ein objektives und ein subjektives Element voraus. Das BAG stellte beide Voraussetzungen fest:

  • Objektiv: Der Kläger bewarb sich trotz mangelnder Verfügbarkeit, fehlender Umzugspläne und unklarer Vereinbarkeit mit seinem Fernstudium.
  • Subjektiv: Es lag keine ernsthafte Absicht zur Arbeitsaufnahme vor. Stattdessen wollte der Kläger gezielt eine Entschädigung erzwingen.

Der Arbeitgeber konnte diese Umstände durch öffentliche Quellen (etwa anonymisierte Urteile) rechtmäßig recherchieren und im Verfahren vorbringen – ein datenschutzrechtliches Verwertungsverbot lehnte das Gericht klar ab.

Bedeutung für Arbeitgeber und Bewerber:

Dieses Urteil schafft klare Leitlinien: Arbeitgeber sind nicht schutzlos, wenn sie gezielt mit Entschädigungsklagen konfrontiert werden, die aus einer missbräuchlichen Bewerbung resultieren. Gleichzeitig unterstreicht das BAG, dass ernst gemeinte Bewerbungen weiterhin geschützt sind – auch wenn sie abgelehnt werden.

Tipps der Redaktion

Wenn du als Arbeitgeber den Verdacht hast, dass es sich bei einer Bewerbung um einen Rechtsmissbrauch handelt:

  • Prüfe, ob die Bewerbung individuell oder lediglich generisch ist.
  • Achte auf erkennbar provozierende Formulierungen („Suchen Sie ausschließlich eine Frau?“).
  • Dokumentiere Indizien wie räumliche Unzumutbarkeit, parallele Verfahren und standardisierte Bewerbungen.
  • Du darfst anonymisierte Gerichtsentscheidungen oder andere öffentliche Quellen auswerten – die Verwertung ist zulässig.
  • Nutze diese Argumentation aktiv zur Abwehr unberechtigter Entschädigungsklagen.

Wenn du Fragen hast, kannst du jederzeit unsere Hauptseite besuchen.
lexpilot.onepage.me
Hier kannst du DSGVO-konform rechtliche Fragen stellen – LexPilot selbst bietet keine Rechtsberatung an, leitet deine Anfrage aber an erfahrene Partnerkanzleien weiter. Die Ersteinschätzung ist kostenlos.

Eine kurze rechtliche Einschätzung durch die Expertenbrille

Björn Kasper, Rechtsanwalt

„Dieses Urteil zeigt eindrucksvoll, dass das AGG kein Selbstbedienungsladen ist. Der Schutz vor Diskriminierung ist elementar – aber kein Freibrief für gezielte Geschäftsmodelle auf Kosten von Arbeitgebern. Die Entscheidung ist begrüßenswert, weil sie Arbeitgeber entlastet und das AGG vor Missbrauch schützt. Wichtig bleibt: Wer diskriminiert wird, kann und soll sich wehren. Aber wer sich ohne echtes Interesse bewirbt, nur um Geld zu kassieren, darf keine Unterstützung vom Recht erwarten.“

Name, Vorname:
Möchtest Du in Zukunft per E-Mail über Neuigkeiten, Urteile usw. informiert werden?

💼 Lexmart Abfindungsrechner

Berechne deine voraussichtliche Abfindung ganz einfach – basierend auf § 1a KSchG (Standardfaktor 0,5).

⚠️ Diese Berechnung ist unverbindlich und ersetzt keine Rechtsberatung.

Letzte Beiträge für Dich

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner