Sonntag, September 28, 2025

Wenn das Gericht verschwindet – Warum Gerichtsstandortschließungen den Rechtsstaat bedrohen

Die Schließung kleiner Amtsgerichte in Deutschland schreitet voran. Immer mehr Gerichtsstandorte werden aus Kostengründen aufgegeben – besonders in ländlichen Regionen. Die Folge: Bürger verlieren den direkten Zugang zum Recht, Verfahren verzögern sich, und das Vertrauen in den Rechtsstaat sinkt. Der Deutsche Richterbund warnt vor einer strukturellen Aushöhlung der Justiz. Auch Verfassungsrechtler sehen das Prinzip der Justizgewährleistung gefährdet. LexPilot zeigt in diesem Artikel, warum Gerichtsstandorte wichtig für die Demokratie sind, welche Konsequenzen Standortschließungen haben und wie der Rechtsstaat auf dem Land verteidigt werden kann. Denn wer kein erreichbares Gericht mehr hat, hat auch kein funktionierendes Rechtssystem mehr.

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Was passiert, wenn es in deiner Region kein Gericht mehr gibt?

Ein Termin beim Familiengericht, eine Klage gegen den Vermieter, ein Nachbarschaftsstreit – für viele Menschen gehören solche Verfahren zum Alltag. Doch was, wenn das nächste Amtsgericht plötzlich 60 Kilometer entfernt liegt? Was, wenn es gar kein Gericht mehr in der Region gibt?

Genau das passiert derzeit – und zwar häufiger, als viele vermuten. In mehreren Bundesländern werden Amtsgerichte zusammengelegt oder geschlossen, meist aus Kostengründen oder angeblich „mangelnder Auslastung“. Doch was als Verwaltungsakt erscheint, hat in Wahrheit massive Auswirkungen auf den Rechtsstaat – besonders für die ländliche Bevölkerung.

Faktenlage: Über 150 Gerichtsstandorte in 10 Jahren geschlossen

Laut Angaben der Justizministerien und Statistiken des Deutschen Richterbundes wurden in den letzten zehn Jahren bundesweit mehr als 150 kleinere Gerichtsstandorte aufgegeben oder stark ausgedünnt. Besonders betroffen: ländliche Regionen in Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg.

Die Folge: Bürger müssen für einfachste Verfahren oft über eine Stunde Fahrtzeit in Kauf nehmen. Der Zugang zum Recht wird beschwerlich – und für viele faktisch unmöglich. Denn wer keinen Anwalt hat, ist auf persönliche Vorsprachen angewiesen.

Was ist das Problem?

Gerichte sind mehr als nur Gebäude. Sie sind sichtbare und erreichbare Pfeiler des Rechtsstaats. Wenn sie verschwinden, verliert der Staat ein Stück seiner Präsenz – und die Bürgerinnen und Bürger verlieren den Glauben an die Durchsetzbarkeit des Rechts.

Die Auswirkungen:

  • Weniger Rechtsschutz in der Fläche: Streitigkeiten werden aus Kostengründen nicht mehr geführt.
  • Zunehmende Selbstjustiz in Nachbarschafts-, Miet- und Familiensachen.
  • Entfremdung vom Staat – insbesondere bei einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen.
  • Überlastung der verbleibenden Gerichte, die größere Einzugsgebiete abdecken müssen.

Warum das den Rechtsstaat betrifft

Das Grundgesetz garantiert den Zugang zum Recht. Die „Justizgewährleistungspflicht“ verlangt, dass jeder Bürger sein Recht durch ein funktionierendes Gericht durchsetzen kann. Wenn die faktische Erreichbarkeit entfällt, ist das eine strukturelle Aushöhlung des Rechtsstaatsprinzips.

Insbesondere für strukturschwache Regionen bedeutet das: Der Rechtsstaat ist nicht mehr vor Ort. Verfahren veralten, Konflikte eskalieren, Vertrauen geht verloren. Das Ergebnis kann in extremen Fällen tatsächlich zu einem Rechtsvakuum führen – mit drastischen sozialen Folgen.

Welche Gegenbewegungen es gibt

Einige Bundesländer stellen sich gegen den Trend:

  • Thüringen hat 2024 den Beschluss zur Schließung von drei Amtsgerichten nach Protesten rückgängig gemacht.
  • Hessen startet ein Pilotprojekt mit mobilen Gerichtsstellen, ähnlich den medizinischen „Landarztbussen“.
  • Der Deutsche Richterbund fordert einen bundesweiten Stopp von Standortschließungen und ein flächendeckendes Mindestnetz an Amtsgerichten.

Auch das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen betont, dass effektiver Rechtsschutz real erreichbar sein muss – nicht nur theoretisch.

Redaktionstipps für Verbraucher

Wenn Sie von einer Standortschließung betroffen sind:

  • Informieren Sie sich über die nächstgelegene zuständige Gerichtsinstanz.
  • Nutzen Sie anwaltliche Vertretung, um Wege zu minimieren.
  • Bei erheblichen Entfernungen: Prüfen Sie, ob Videoverhandlungen möglich sind (zunehmend erlaubt).
  • Beteiligen Sie sich an lokalen Initiativen oder Petitionen zum Erhalt der Gerichtsstruktur.

Wenn du weitere Fragen zum Thema hast, kannst du gerne unser Kontaktformular nutzen:

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FAQ-Bereich

Warum werden Gerichtsstandorte geschlossen?
Meist aus Kostengründen oder angeblich geringer Auslastung – trotz steigender Fallzahlen.

Welche Regionen sind betroffen?
Besonders stark betroffen sind ländliche Gebiete in Ostdeutschland und strukturschwache Räume.

Kann ich gegen eine Schließung vorgehen?
Nicht direkt – aber es gibt Petitionen, politische Initiativen und Medienarbeit, um Druck aufzubauen.

Was sagt die Verfassung dazu?
Das Bundesverfassungsgericht verlangt effektiven Zugang zum Recht – auch faktisch, nicht nur formal.

Was sind Alternativen zur Schließung?
Mobile Gerichte, Videoverhandlungen, Personalaufstockung oder Reform der Gerichtsverteilung ohne Standortaufgabe.

Persönlicher Expertenkommentar

„Wenn der Zugang zum Recht vom Wohnort abhängt, verabschieden wir uns von einem zentralen Pfeiler des Rechtsstaats. Die Justiz muss für alle da sein – auch auf dem Land. Wer Gerichte schließt, gefährdet mehr als nur Verwaltung: Er gefährdet Vertrauen, Frieden und Demokratie.“
RA Björn Wilhelm Kasper

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