Es klingt nach einem Albtraum für Meinungsblogger, Aluhüte und digitale Draufgänger: Die Bundesregierung will Lügen verbieten! Wahrheit per Gesetz? Zensur light? Ein Wahrheitsministerium mit Gütesiegel und Abhörschnittstelle? Die Empörung ließ nicht lange auf sich warten, als eine Passage aus dem aktuellen Koalitionsvertrag auftauchte: „Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt.“ Für einige ist das bereits der erste Schritt in Richtung Meinungsdiktatur. Für Juristen hingegen ist es eher – kalter Kaffee.
Was steht da eigentlich – und was nicht?
Die zitierte Formulierung findet sich im Koalitionsvertrag der Bundesregierung und steht im Zusammenhang mit dem Kampf gegen Desinformation. Gemeint sind gezielte Falschbehauptungen, die im Netz viral gehen, politische Wahlen manipulieren oder einzelne Personen öffentlich diffamieren. Dass diese Art der Desinformation kein schützenswertes Gut darstellt, ist rechtlich längst geklärt. Neu ist daran nichts. Nur: Wenn die Politik Altbekanntes mit neuem Pathos auflädt, riecht es schnell nach Symbolpolitik – oder eben nach Irritation.
Die Grenzen der Meinungsfreiheit – nicht so weit, wie viele glauben
Artikel 5 des Grundgesetzes schützt die Meinungsfreiheit. Und zwar ziemlich stark. Aber nicht grenzenlos. Diese Freiheit findet ihre Schranken unter anderem in den allgemeinen Gesetzen – also dem Strafrecht, dem Zivilrecht, dem Urheberrecht und so weiter. Wer also behauptet, Angela Merkel sei ein Echsenwesen oder Karl Lauterbach ein sowjetischer Klon, darf das im Rahmen von Satire oder als Meinungsäußerung deklarieren. Sobald jedoch konkrete, bewusst falsche Tatsachen über Personen verbreitet werden – etwa in Form von Verleumdung oder übler Nachrede – endet der Schutz. Und das nicht erst seit gestern.
Lüge oder Meinung – eine Frage der juristischen Bewertung
Juristisch ist die Unterscheidung zwischen einer Meinungsäußerung und einer Tatsachenbehauptung entscheidend. Meinungen sind subjektiv – sie dürfen überspitzt, polemisch oder sogar dumm sein. Tatsachenbehauptungen hingegen lassen sich auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen. Wer etwas behauptet, das überprüfbar und objektiv falsch ist, verlässt den Schutzschirm des Grundgesetzes – vorausgesetzt, er weiß, dass es falsch ist. Und genau darum geht es bei der „bewussten“ Verbreitung: Nur derjenige, der vorsätzlich lügt, greift in fremde Rechte ein – und kann zur Verantwortung gezogen werden.
Politisches Signal oder rechtliche Nebelkerze?
Warum also die Aufregung? Ganz einfach: Der Begriff „Lügenverbot“ verkauft sich gut. Er erzeugt Klicks, Debatten und Skandalisierung. Doch tatsächlich sagt der Koalitionsvertrag nur das, was die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schon lange vorgibt. Wer vorsätzlich falsche Tatsachen über andere behauptet, verletzt deren Persönlichkeitsrecht – und handelt rechtswidrig. Dass die Koalition das nochmal aufgreift, mag politisch motiviert sein. Aber es ändert nichts an der bestehenden Rechtslage.
Ein Wahrheitsministerium wird nicht gegründet – auch wenn manche es gerne glauben würden
Was ausdrücklich nicht geplant ist: ein staatliches Prüfzentrum, das Meinungen zensiert oder Wahrheiten lizenziert. Der Staat darf auch in Zukunft nicht vorschreiben, was du denkst. Er darf nur eingreifen, wenn du durch bewusste Lügen Rechte anderer verletzt. Insofern ist das oft zitierte „Lügenverbot“ kein Angriff auf die Meinungsfreiheit – sondern eine Klarstellung dessen, was seit Jahren juristische Realität ist.
Falschinformationen im Netz – ein echtes Problem
Auch wenn das politische Signal überzogen wirken mag, das Problem der digitalen Desinformation ist real. Falschnachrichten, manipulierte Bilder, erfundene Zitate – sie können Wahlen beeinflussen, Gesellschaften spalten und Existenzen zerstören. Deshalb ist es richtig, bestehende Gesetze besser durchzusetzen und Plattformen stärker in die Pflicht zu nehmen. Die Grenze ist dabei klar: Meinung ja, Lüge nein – aber eben nur dann, wenn der Vorsatz bewiesen werden kann. Und das ist juristisch ein harter Brocken.
Tipps der Redaktion
Wer im Netz unterwegs ist, sollte sich genau überlegen, was er teilt, schreibt oder behauptet. Meinungen sind geschützt – aber bewusst falsche Tatsachen können teuer werden. Achte darauf, dass deine Aussagen belegbar sind, besonders wenn du andere Personen namentlich erwähnst. Und wenn du glaubst, Opfer einer Lüge geworden zu sein: Sichere Beweise, dokumentiere die Aussagen und prüfe deine rechtlichen Optionen. Die Meinungsfreiheit schützt dich – aber auch deine Gegenseite.
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