Der Albtraum vieler Reisender beginnt am Gate
Du stehst am Flughafen, die Koffer sind eingecheckt, der Boardingpass in der Hand – und plötzlich blinkt es rot auf der Anzeigetafel: „FLIGHT CANCELLED“. Oder schlimmer noch: Der Flieger hebt einfach nicht ab – und du sitzt stundenlang fest. 2025 häufen sich genau solche Fälle: Airlines kürzen Strecken, überbuchen gezielt oder schieben Verzögerungen auf externe Ursachen.
Doch was viele nicht wissen: Die Fluggastrechte-Verordnung der EU (VO 261/2004) sichert dir weit mehr Rechte, als Fluggesellschaften zugeben. Und mit den jüngsten EuGH-Urteilen aus 2024 und 2025 haben sich die Chancen für Verbraucher erheblich verbessert.
Wann steht dir eine Entschädigung zu?
Nach der EU-Fluggastrechteverordnung hast du bei einer Verspätung ab drei Stunden, bei einer Annullierung, oder bei einer Nichtbeförderung (z. B. wegen Überbuchung) grundsätzlich Anspruch auf:
- Betreuung am Flughafen (Essen, Getränke, ggf. Hotel)
- Ersatzbeförderung oder Rückzahlung des Ticketpreises
- Pauschale Entschädigung zwischen 250 € und 600 € – je nach Entfernung
Die Höhe der Entschädigung: Das sind deine Ansprüche
Die pauschalen Entschädigungsbeträge nach Art. 7 Fluggastrechte-VO sind wie folgt gestaffelt:
- 250 € bei Kurzstrecken (bis 1.500 km)
- 400 € bei Mittelstrecken (1.500–3.500 km)
- 600 € bei Langstrecken (über 3.500 km)
Voraussetzung: Die Verspätung beträgt mindestens drei Stunden am Zielort (maßgeblich ist die Zeit des Öffnens der Flugzeugtür!) – oder der Flug wurde kurzfristig annulliert.
Sonderfälle und aktuelle EuGH-Urteile 2024/2025
Die jüngste Rechtsprechung hat entscheidende Klarstellungen gebracht:
1. Anschlussflug verspätet? Auch dann gibt’s Geld!
EuGH, Urteil vom 21.03.2024 (C-510/22):
Reisende, die mehrere Flüge auf einem Ticket gebucht haben, haben Anspruch auf Entschädigung, auch wenn der Zubringerflug pünktlich war, aber der Anschlussflug zu spät ankam. Es zählt die Ankunftszeit am Endziel, nicht die Pünktlichkeit einzelner Teilflüge.
2. Codeshare-Flüge und Ersatzausführungen: Wer zahlt?
EuGH, Urteil vom 05.12.2024 (C-627/23):
Wird ein Flug von einer Partner-Airline durchgeführt (z. B. Lufthansa-Ticket, aber operated by United), haftet die Airline, die tatsächlich fliegt – nicht die, bei der gebucht wurde. Verbraucher dürfen also direkt gegen die ausführende Airline vorgehen.
3. Streik ist nicht automatisch höhere Gewalt
EuGH, Urteil vom 07.02.2025 (C-184/24):
Ein Streik des eigenen Airlinepersonals gilt nicht als außergewöhnlicher Umstand – auch wenn er kurzfristig erfolgt. Die Fluggesellschaft muss zahlen. Nur bei wilden, unvorhersehbaren Drittstreiks (z. B. Bodenpersonal des Flughafens) kann sich die Airline entlasten.
Wann bekommst du nichts?
Keine Entschädigung steht dir zu, wenn die Verspätung oder Annullierung durch „außergewöhnliche Umstände“ verursacht wurde – etwa:
- Unwetter, Vulkanasche, politische Unruhen
- Sicherheitsrisiken, Sabotage, terroristische Bedrohungen
Aber Vorsicht: Die Beweislast liegt bei der Airline! Sie muss detailliert und nachvollziehbar darlegen, warum genau dieser Flug betroffen war, und dass alle zumutbaren Maßnahmen getroffen wurden. Viele berufen sich vorschnell auf pauschale Gründe.
Wie du jetzt konkret vorgehst – Schritt für Schritt
- Anspruch prüfen
Überprüfe Verspätung/Annullierung mit Tools wie „FlightRight“ oder „EUclaim“ – oder rechne selbst nach. - Schriftlich Forderung stellen
Nutze ein Musterschreiben mit Fristsetzung (mind. 14 Tage), weise auf die EU-VO 261/2004 hin. Füge Flugnummer, Reisedaten, Boardingpass etc. bei. - Beweise sichern
Fotos der Anzeigetafel, Nachrichten der Airline, Uhrzeit der Türöffnung – alles sichern! - Frist abgelaufen? Mahnen!
Entweder selbst oder über einen Anwalt. Viele Airlines reagieren erst unter Druck. - Letzter Schritt: Klage oder Schlichtung
Zuständig ist das Amtsgericht am Abflugort oder Zielort. Alternativ: Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP).
Was du NICHT tun solltest
- Kein voreiliges Akzeptieren von Gutscheinen oder Goodwill-Angeboten
- Kein Warten auf automatische Rückzahlung – das passiert in 95 % der Fälle nicht
- Kein „Aufgeben“ bei angeblichem technischen Defekt – oft unbegründet
Was gilt bei Pauschalreisen?
Wurde dein Flug im Rahmen einer Pauschalreise gebucht, kannst du zusätzlich gegen den Reiseveranstalter Ansprüche geltend machen:
- Minderung des Reisepreises nach § 651m BGB
- Schadensersatz bei entgangener Urlaubsfreude (§ 651n BGB)
– z. B. wenn du einen Tag zu spät ankommst
Frist: innerhalb eines Monats nach Reiserückkehr schriftlich reklamieren!
Tipps der Redaktion
- Setze deine Rechte notfalls gerichtlich durch. Die Rechtsprechung steht 2025 klar auf Seiten der Verbraucher – insbesondere dank der EuGH-Klarstellungen.
- Nutze Flugentschädigungsrechner, aber überlege gut, ob du dein Recht abtrittst. Viele Portale nehmen bis zu 30 % Provision.
- Reise mit System: Achte auf Direktflüge, frühere Tageszeiten und EU-Fluggesellschaften. Dort greift der beste Schutz.
- Lass dich nicht abwimmeln. Standardmails mit Phrasen wie „außergewöhnliche Umstände“ oder „nicht zuständig“ kannst du ignorieren. Die Gerichte prüfen nach!




