Worum geht’s hier?
Die Bundesregierung will die Zuständigkeit der Amtsgerichte verdoppeln – von 5.000 auf 10.000 Euro Streitwert. Klingt trocken, ist aber ein echter Systemwechsel: mehr Selbstvertretung, weniger Anwaltszwang, bessere Erreichbarkeit. Was das für Verbraucher und Anwälte bedeutet – jetzt klar und auf den Punkt erklärt.
Streitwertgrenze soll steigen – was bedeutet das?
Der aktuelle Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums vom 24. Juni 2025 sieht vor, dass die Amtsgerichte in Zivilsachen künftig für Streitwerte bis 10.000 € zuständig sein sollen. Bislang lag die Grenze bei 5.000 €. Wer heute mit 7.000 € Forderung klagt, muss zum Landgericht – und dort herrscht Anwaltszwang.
Diese Hürde soll wegfallen: Künftig könnten Verbraucher also deutlich häufiger selbst klagen, ohne sich juristisch vertreten lassen zu müssen. Das vereinfacht den Zugang zur Justiz – und entlastet die Landgerichte.
Gleichzeitig sollen bestimmte Sachverhalte – wie Nachbarrecht oder Arzthaftung – streitwertunabhängig einem Gerichtstyp zugewiesen werden, damit sich Spezialisierungen bilden.
Amtsgerichte sollen gestärkt werden
Der Reformvorschlag ist Teil der „Justizoffensive“ des BMJ. Die Idee: Bürgern soll der Rechtsweg erleichtert werden – und kleinere Gerichte im ländlichen Raum sollen mehr Arbeit bekommen. Die Reform verfolgt dabei drei Ziele:
- Mehr Bürgernähe: Amtsgerichte sind oft näher am Wohnort.
- Weniger Anwaltszwang: Bis 10.000 € kann jeder selbst klagen.
- Mehr Effizienz: Landgerichte werden entlastet.
Laut Ministerium könnten jährlich rund 65.000 zusätzliche Zivilverfahren zu den Amtsgerichten wandern. Das BMJ beziffert die potenziellen Einsparungen für Verbraucher auf rund 14,5 Millionen Euro pro Jahr – vor allem durch wegfallende Anwaltskosten.
Was sich sonst noch ändern soll
Neben der Anhebung der Streitwertgrenze sind auch strukturverbessernde Maßnahmen vorgesehen:
- Streitwertkorrekturen: Wenn der Wert falsch angesetzt wurde, kann er künftig leichter angepasst werden.
- Kostennachprüfung: Fehlende Beschwerden gegen unrichtige Kostenfestsetzungen sollen nachgeholt werden können.
- Spezialisierung der Gerichte: Einzelne Verfahren werden streitwertunabhängig auf Amts- oder Landgerichte verteilt.
Beispiel: Nachbarstreitigkeiten sollen immer ans Amtsgericht, während z. B. Arzthaftung grundsätzlich beim Landgericht bleibt.
Was du als Kläger, Verbraucher oder Anwalt jetzt wissen musst
Für Verbraucher eröffnet sich mit der neuen Grenze ein größerer Raum für Eigeninitiative: Mahnbescheide, Klagen auf Rückzahlung, Schadensersatz – vieles kann künftig ohne Anwalt erledigt werden. Das spart Geld, ist aber auch riskanter. Denn Laien unterschätzen häufig prozessuale Fallstricke.
Für Anwälte bedeutet die Reform einen potenziellen Rückgang an Mandaten im unteren Streitwertbereich. Vor allem einfache Forderungsklagen könnten seltener anwaltlich begleitet werden – zumindest in der ersten Instanz.
Der Blick aus der Expertenbrille
Mal ehrlich: Was lange währt, wird endlich realistisch. Dass die 5.000-Euro-Grenze nicht mehr zeitgemäß ist, war jedem klar, der jemals für ein defektes E-Bike, eine gescheiterte Urlaubsreise oder ein fragwürdiges Online-Geschäft geklagt hat. Verbraucher müssen oft zum Landgericht, obwohl es um Bagatellen mit überholtem Streitwert geht.
Der Referentenentwurf ist nicht revolutionär, aber konsequent. Und endlich mal eine Justizreform, die nicht nach innen optimiert, sondern auf echte Alltagsszenarien abzielt. Dass der Zugang zur Justiz erleichtert wird, ist ein Gewinn – nicht nur für den Verbraucher, sondern auch für das Vertrauen in den Rechtsstaat.
Klar: Anwälte schütteln den Kopf. „Wegfall von Mandaten!“, „Verlust des Justizmonopols!“, „Überlastung der Amtsgerichte!“. Ja, mag sein. Aber wer ernsthaft glaubt, dass der Anwaltsberuf vom 3.000-Euro-Mahnverfahren lebt, hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden.
Die Wahrheit ist: Mehr Eigenverantwortung bedeutet auch mehr Bedarf an echter, qualifizierter Beratung. Wer heute allein klagt, ruft morgen beim Anwalt an – nicht für die Klageeinreichung, sondern für die Strategie. Und das ist auch gut so.
7 wichtige Fragen zur neuen Streitwertgrenze
Was ist der aktuelle Stand der Gesetzesänderung?
Der Referentenentwurf wurde am 24. Juni 2025 veröffentlicht. Bis 11. Juli 2025 läuft die Länder- und Verbändeanhörung. Danach folgen Kabinettsbeschluss und parlamentarisches Verfahren. Ein Inkrafttreten zum 1. Januar 2026 ist realistisch.
Welche Streitigkeiten wären konkret betroffen?
Alle zivilrechtlichen Klagen mit einem Streitwert zwischen 5.000 € und 10.000 €, z. B. Schadenersatz, Rückzahlungen, Vertragsstreitigkeiten. Diese würden künftig zum Amtsgericht statt zum Landgericht gehen – ohne Anwaltszwang.
Wie viel Geld könnten Verbraucher durch die Reform sparen?
Laut Bundesjustizministerium könnten jährlich rund 14,5 Millionen Euro an Anwaltskosten entfallen, wenn Verbraucher häufiger selbst vor Amtsgerichten auftreten.
Was bedeutet das für die Anwaltskanzleien?
Ein Rückgang bei einfachen Zivilklagen im Bereich 5.000–10.000 € ist wahrscheinlich. Gleichzeitig entsteht aber Beratungsbedarf bei Taktik, Beweissicherung und Klageschriftgestaltung – auch ohne Anwaltszwang.
Wird es zusätzliche Spezialisierungen bei den Gerichten geben?
Ja. Neben der Streitwertregelung sollen bestimmte Verfahren unabhängig vom Streitwert entweder beim Amtsgericht (z. B. Nachbarschaftsstreit) oder beim Landgericht (z. B. Arzthaftung, Presserecht) konzentriert werden.
Sind Amtsgerichte überhaupt personell dafür gewappnet?
Das bleibt unklar. Zwar soll die Reform entlasten und vereinfachen, aber ob Amtsgerichte zusätzliches Personal oder Schulung erhalten, ist bislang nicht geregelt. Hier dürfte es auf die Länder ankommen.
Wie können Betroffene die neue Regelung praktisch nutzen?
Nach Inkrafttreten einfach den richtigen Gerichtsstand beachten und gegebenenfalls ohne Anwalt Klage beim Amtsgericht einreichen – etwa per Klageschrift oder über das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach.