Sonntag, September 28, 2025

Gaspreise-Wahnsinn gestoppt – Kammergericht kippt Zwei-Klassen-Tarife

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Mitten in der Energiekrise verlangte der Berliner Versorger Gasag von Neukunden saftige Aufschläge für Gas – bis zu 157 % mehr als Bestandskunden zahlen mussten. Die Verbraucherzentrale klagte – mit Erfolg. Das Kammergericht Berlin erklärte die Preisunterschiede für unzulässig. Warum dieses Urteil ein Paukenschlag für Millionen Haushalte ist, was Betroffene jetzt tun können und wieso die Argumente der Versorger ins Leere liefen, liest du hier.

Das Urteil des Kammergerichts (Az. MK 1/22 EnWG) ist noch nicht rechtskräftig, aber schon jetzt ein Meilenstein für den Verbraucherschutz. Die Richter machten klar: Ein Grundversorger darf bei identischer Leistung keine unterschiedlichen Preise allein aufgrund des Vertragsbeginns verlangen. Die Preisdifferenzierung nach Kundenstatus sei mit dem Energiewirtschaftsgesetz unvereinbar – selbst wenn sich die Marktpreise dramatisch verändern.

Was war passiert?

Im Winter 2021 verschärfte sich die Energiekrise rasant. Zahlreiche Billiganbieter stiegen aus dem Markt aus oder kündigten massenhaft Verträge. Viele betroffene Kunden rutschten daraufhin in die teure Grundversorgung – meist ohne Alternative. Genau das nutzte Gasag aus und verlangte von Neukunden in der Grundversorgung satte 18 Cent pro Kilowattstunde Gas – während Bestandskunden nur sieben Cent zahlen mussten.

Beispielrechnung: Bei einem Verbrauch von 20.000 kWh/Jahr bedeutete das für Neukunden Mehrkosten von über 2.000 Euro jährlich. Die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) klagte – mit Rückendeckung von über 500 Betroffenen.

Die rechtliche Ausgangslage

Die vzbv argumentierte mit §§ 36 und 38 EnWG: Danach haben Energieversorger für Grund- und Ersatzversorgung einheitliche, allgemeine Preise festzulegen – für alle Verbraucher. Diese Gleichbehandlung sei essenzieller Bestandteil der Grundversorgungspflicht. Eine Preisstaffelung nach Zeitpunkt des Vertragsschlusses sei unzulässig, da sie gegen das Diskriminierungsverbot verstoße.

Gasag hingegen verwies auf die eigenen Beschaffungskosten: In der Krise sei Gas auf dem Markt deutlich teurer geworden. Es sei wirtschaftlich nicht vertretbar gewesen, Neukunden zum gleichen Preis wie Bestandskunden zu versorgen.

Das Urteil des Kammergerichts Berlin

Die Richter des Kammergerichts erteilten dieser Argumentation eine klare Absage. Auch bei massiv gestiegenen Beschaffungskosten dürften Neukunden in der Grundversorgung nicht schlechter gestellt werden als Bestandskunden.

Zentrale Feststellung des Gerichts: Die unterschiedlichen Beschaffungspreise stellen keinen sachlich gerechtfertigten Grund im Sinne des EnWG dar. Die Grundversorgung müsse diskriminierungsfrei erfolgen – unabhängig vom Zeitpunkt des Vertragsbeginns.

Zudem betonten die Richter, dass der Gesetzgeber die bis dahin bestehende Unsicherheit mittlerweile ausdrücklich beseitigt habe. Seit der Gesetzesänderung 2022 sei in § 36 EnWG nun eindeutig geregelt, dass keine Differenzierung nach Vertragszeitpunkt zulässig ist.

Bedeutung für Verbraucher

Das Urteil betrifft Zehntausende Haushalte – allein im Fall Gasag, aber auch darüber hinaus. Denn ähnliche Modelle wurden von weiteren Grundversorgern praktiziert. Besonders einkommensschwache Haushalte litten unter der finanziellen Belastung. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, können sich alle Beteiligten der Musterfeststellungsklage auf Rückzahlungen berufen.

Doch selbst für nicht direkt Beteiligte ist das Urteil wichtig: Es zeigt, dass Grundversorger ihre Sonderstellung nicht ausnutzen dürfen – auch nicht in Krisenzeiten.

Tipps der Redaktion

Wenn du in der Energiekrise als Neukunde in die Grundversorgung gekommen bist und deutlich höhere Preise gezahlt hast, solltest du Folgendes prüfen:

  • Waren deine Tarife deutlich höher als die von Bestandskunden?
  • Wurde dir der höhere Preis nicht transparent erklärt oder gar als alternativlos dargestellt?
  • Hast du deine Abrechnungen noch vollständig vorliegen?

Falls ja, könnte sich eine Rückforderung lohnen – insbesondere, wenn ähnliche Differenzierungen wie bei der Gasag vorlagen. Auch wenn du nicht Teil der Musterfeststellungsklage bist, kann eine individuelle Prüfung durch eine Verbraucherzentrale oder spezialisierte Kanzlei sinnvoll sein.

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Eine kurze rechtliche Einschätzung durch die Expertenbrille

Björn Kasper, Rechtsanwalt:
Die Entscheidung ist juristisch zwingend und konsequent. Das Kammergericht erkennt klar, dass wirtschaftlicher Druck nicht zu einer Zwei-Klassen-Versorgung führen darf. Die Grundversorgung ist gesetzlich als diskriminierungsfreier Schutzmechanismus für Verbraucher gedacht – nicht als Ausweichventil für Unternehmen in der Krise. Dass sich das Gericht trotz des immensen Beschaffungsdrucks auf die Gleichbehandlungspflicht stützt, stärkt die Rechtsposition von Millionen Haushalten. Spannend bleibt, ob der BGH das Urteil bestätigt – die Revision ist angekündigt. Doch bereits jetzt ist klar: Versorger, die auf Preisstaffelung nach Vertragsbeginn setzen, begeben sich auf juristisch dünnes Eis.

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