Wenn funktionales Design zur juristischen Streitfrage wird
Klar, minimalistisch, modular – die Möbel von USM Haller sind weltweit bekannt und in zahllosen Kanzleien, Agenturen und Privatwohnungen zu finden. Doch kaum jemand weiß, dass hinter dem ikonischen Design ein erbitterter Streit um das Urheberrecht tobt. Denn obwohl die USM-Möbel ursprünglich als funktionale Büromöbel konzipiert wurden, geht es längst um weit mehr: um die Frage, ob solche Designs überhaupt urheberrechtlich geschützt sind. Der Fall hat mittlerweile den Bundesgerichtshof und den Europäischen Gerichtshof beschäftigt – mit weitreichenden Konsequenzen für Designer, Hersteller und Nachahmer.
Das USM-Möbelsystem – Form und Funktion im Einklang
Das modulare Möbelsystem wurde in den 1960er Jahren von dem Schweizer Architekten Fritz Haller entwickelt. Es basiert auf einem standardisierten Raster mit Kugelverbindern, Stahlrohren und farbigen Metallplatten. Das Design ist so einfach wie raffiniert – und wurde zum Sinnbild für moderne Sachlichkeit. Jahrzehntelang wurde über Geschmack gestritten, aber nicht über Schutzrechte. Das änderte sich, als Wettbewerber begannen, ähnliche Systeme auf den Markt zu bringen. USM wehrte sich – und machte urheberrechtliche Ansprüche geltend.
Der Rechtsstreit – Urheberrecht an Möbeldesign?
Im Zentrum des Streits steht die Frage, ob das USM-Möbelsystem ein urheberrechtlich geschütztes Werk der angewandten Kunst im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG ist. Der Bundesgerichtshof hat in mehreren Entscheidungen zur Schutzfähigkeit von Produktdesigns Stellung bezogen, etwa im Fall „Geburtstagszug“ (BGH, Urteil vom 13.11.2013 – I ZR 143/12). Doch bei USM Haller ging es weiter: Im Beschluss vom 21. Dezember 2023 – I ZR 96/22 legte der BGH dem Europäischen Gerichtshof die Frage vor, ob und wann bei funktionalen Möbeln ein urheberrechtlicher Schutz bestehen kann. Es geht um die Anforderungen an die „eigene geistige Schöpfung“ – und darum, ob ein rein funktionales Design überhaupt kreativ genug sein kann.
Beleg:
BGH, Beschluss vom 21.12.2023 – I ZR 96/22 (Vorlage an den EuGH in der Sache „USM Haller“)
Vorlagefragen: Originalität bei funktional bestimmten Gestaltungen, Maßstab für „eigene geistige Schöpfung“
Funktionalität versus Kreativität – der zentrale Konflikt
Das Urheberrecht schützt keine technischen Lösungen, sondern kreative Leistungen. Doch gerade bei Möbeln verschwimmt die Grenze. Ist ein Design wie bei USM Haller lediglich das Ergebnis funktionaler Planung – oder steckt eine kreative Idee dahinter, die geschützt werden kann? Genau diese Frage ist juristisch umstritten. Während die einen in USM Haller ein schlichtes Baukastensystem sehen, sprechen andere von einer ikonischen Formensprache, die längst Designgeschichte geschrieben hat.
Was das für Hersteller und Händler bedeutet
Die Entscheidung des EuGH wird weitreichende Folgen haben. Sollte das USM-System urheberrechtlich geschützt sein, wären Nachbauten künftig unzulässig – unabhängig davon, ob sie technische Unterschiede aufweisen oder nicht. Händler, die Nachahmungen vertreiben, könnten abgemahnt oder auf Schadensersatz verklagt werden. Auch gebrauchte, modifizierte oder importierte Produkte könnten betroffen sein. Das betrifft nicht nur Großhändler, sondern auch kleine Anbieter, Onlineshops und Plattformen.
Was Verbraucher und Designer wissen müssen
Für Designer bietet das Verfahren eine Chance: Wenn funktionale Produkte geschützt werden können, erweitert sich der Anwendungsbereich des Urheberrechts erheblich. Doch auch Verbraucher müssen wachsam sein: Wer versehentlich Plagiate erwirbt oder vertreibt, kann rechtlich in die Haftung geraten. Wichtig ist, die Herkunft, Gestaltung und Rechte an Designprodukten genau zu prüfen – vor allem bei auffallend günstigen Angeboten.
Tipps der Redaktion
USM Haller ist mehr als nur ein Möbel – es ist ein Symbol für die Schnittstelle von Gestaltung und Funktion. Der Streit zeigt, wie stark sich Designfragen und Recht überschneiden können. Wer kreativ tätig ist oder Designobjekte vertreibt, sollte sich über urheberrechtliche Schutzmöglichkeiten informieren – und zugleich prüfen, ob bestehende Rechte anderer beachtet wurden. Denn zwischen Inspiration und Nachahmung liegt oft nur ein rechtlicher Wimpernschlag.